Schutzwälder ohne Schutz: Bergwälder im Gasteinertal unter Druck

(Salzburg/Purkersdorf) Die Steilhänge des Angertals bieten ein trauriges Bild: Mit ihren großen und nahezu unbewaldeten Kahlflächen sind die steilen Hänge Erosion und Naturgefahren unmittelbar ausgesetzt. Zu hohe Wildstände und wiederholte Stürme haben die einst mächtigen und intakten Bergwälder in einem ehemals verpachteten Jagdrevier der Österreichischen Bundesforste (ÖBf) im Gasteiner Angertal zu Kahlflächen verkümmern lassen. Obwohl seit dem Jahrhundertsturm „Uschi“ im November 2002 nahezu 20 Jahre vergangen sind, konnten die Bergwälder bis heute noch nicht erneut wiederbewaldet werden. Grund dafür sind außerordentliche Waldschäden aufgrund deutlich überhöhter Rotwildstände, fachlich als „Waldverwüstung“ bezeichnet. Die lokale Forstbehörde und das Landesverwaltungsgericht (LVwG) Salzburg haben das seit 2016 bereits mehrfach gerichtlich bestätigt. Wörtlich stellte das LVwG fest, dass „auf den verfahrensgegenständlichen Flächen durch massive Wildschäden - verursacht vorrangig durch Rotwild - es großflächig zum Ausfall und zum Absterben von Forstkulturen gekommen ist.“ Und weiter: „Dies hat jetzt zur Folge, dass derzeit die verfahrensgegenständlichen Wälder nicht oder zu gering bestockt sind, um zukünftig die im Forstgesetz geforderten Schutzfunktionen der Wälder erfüllen zu können“ und „dass die Ursachen in weiten Bereichen im Vorhandensein eines überhöhten Rotwildbestandes liegen“. Nachdem die gerichtlich verfügte Wildstandsreduktion in weiterer Folge nicht umgesetzt wurde, wurde nun auch der Weiterbetrieb der Rotwildwinterfütterung auf der Rettenwandalm behördlich untersagt. Das Wildtiermanagement muss künftig zum größten Teil von den Österreichischen Bundesforsten und der lokalen Hegegemeinschaft erfolgen. Diese stehen nun vor der schwierigen Aufgabe, die viel zu hohe Anzahl an Wildtieren weidgerecht durch den Winter bringen zu müssen, den Wildstand auf ein Lebensraum verträgliches Maß zu senken und langfristig die Kahlflächen wieder zu bewalden – kurz: die Natur in den nächsten Jahren wieder in ihr natürliches Gleichgewicht zu bringen.
Ein Wald fällt aus: Schutzwälder ohne Schutz
Die zwischen 1.200 und 1.800 Meter Seehöhe liegenden Bergwälder sind forstrechtlich als Schutzwälder der höchsten Kategorie (Standortschutzwälder) eingestuft. Heute sind die steilen und rutschgefährdeten Waldhänge des Angertals jedoch kaum mehr in der Lage, die darunter liegenden Talflächen vor Naturgefahren zu schützen, da unter den gegebenen Bedingungen schlicht kein Jungwald aufkommen kann. Über Jahrzehnte von zu hohen Wildständen in Mitleidenschaft gezogen, hat zusätzlich Sturmtief „Uschi“ 2002 die Flächen arg mitgenommen, gefolgt von Käferbefall bis 2006. Im Jahr 2017 schließlich hat ein Föhnsturm die letzten verbliebenen, geschlossenen Altbestände weggerissen. „Seit 2005 wurden über 80.000 Jungpflanzen gesetzt, nur mehr rund die Hälfte von ihnen ist heute noch übrig“, berichtet Betriebsleiter Hannes Üblagger, Leiter des ÖBf-Forstbetriebs Pongau. „Von den verbliebenen Pflanzen kommen viele über eine Wuchshöhe von 1,60 Meter erst gar nicht hinaus und werden schon in kleinstem Stadium verbissen oder geschält. Von den rund 20.000 gepflanzten Lärchen – einer im Klimawandel besonders wichtigen Baumart - sind beinahe alle wieder verschwunden, vom Rotwild ausgerissen, verbissen oder verfegt.“ Dabei sind gerade in Zeiten des Klimawandels und zunehmender Naturgefahren intakte Schutzwälder mit einem entsprechenden Anteil an Mischbaumarten wichtiger denn je, wie nicht zuletzt die außerordentlichen Schneemassen und vielen Lawinenabgänge des Winters 2018/19 gezeigt haben. Auch das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts bestätigt, „dass dem Interesse an der Erhaltung bzw. der Wiederherstellung der Funktion eines Schutzwaldes regelmäßig deutlich höheres Gewicht zukommt als dem Interesse eines Jagdinhabers an der Erhaltung eines bestimmten Wildstandes“. Betriebsleiter Hannes Üblagger: „Ohne nachhaltige Schutzwirkung der Wälder ist eine dauerhafte Besiedlung im alpinen Raum undenkbar. Das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts bestätigt einmal mehr die Wichtigkeit eines dem Lebensraum angepassten Wildstandes und eines gesunden Gleichgewichtes von Wald und Wild – auch im Gasteiner Angertal.“
Absenkung des Wildstandes für gesunde Schutzwälder
In einem ersten Schritt gilt es nun, den Wildstand an ein Lebensraum angepasstes Maß zu senken. Durch das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg sollte der überhöhte Bestand in zwei Etappen bis 2021 gesenkt werden - bis 15. Jänner 2020 auf maximal 125, bis 15. Jänner 2021 auf höchstens 100 Wildtiere. Dies ist jedoch nicht erfolgt, wie eine neuerliche Auswertung der Universität für Bodenkultur von April 2020 ergeben hat. Dort wurde festgestellt, dass „der Fütterungsstand an der Rotwildfütterung Rettenwand im Frühjahr 2019 zumindest 194 Stück Rotwild und im Frühjahr 2020 zumindest 205 Stück Rotwild betrug“. Ein reduzierter Fütterungsstand von 125 Tieren wurde somit deutlich verfehlt, woraufhin eine Schließung der Rotwildfütterung in der Rettenwandalm schlussendlich gerichtlich angeordnet wurde.
Wie man 200 Hirsche erbt und gleichzeitig einen Schutzwald rettet
Nachdem davon auszugehen ist, dass sich im kommenden Winter auf der Suche nach Nahrung wieder rund 200 Tiere im Bereich der Fütterung einstellen werden, haben die Bundesforste gemeinsam mit der Jägerschaft und wissenschaftlich anerkannten Experten ein vorsorgliches Notkonzept zur Versorgung der erwarteten Wildtiere im kommenden Winter erarbeitet. Dieses Konzept sieht die Errichtung und professionelle Betreuung einer Ersatzfütterung rund 700 m nordöstlich des ehemaligen Standorts vor. Durch diese Maßnahme soll das Rotwild möglichst schadensfrei durch den Winter gebracht werden. Danach soll eine kontinuierliche Absenkung des Rotwildstandes auf ein für den Schutzwald erträgliches Ausmaß erfolgen. Durch Auflagen wird sichergestellt, dass dies in tierschutzgerechter Form erfolgen kann. Erst danach kann mit einem nachhaltigen Aufforsten der Wälder begonnen werden.
Waldumbau im Gasteiner Tal in klimafitte Wälder
„Schon heute sind die Folgen des Klimawandels in den Wäldern wie Trockenstress durch Hitze oder lange Trockenperioden nicht zu übersehen. Die Anpassung unserer Wälder an den Klimawandel gilt als eine Schlüsselaufgabe der Zukunft“, stellt Üblagger fest. „Das gilt insbesondere für Schutzwälder, die einerseits uns Menschen vor zunehmenden Naturgefahren schützen sollen und andererseits selbst vom Klimawandel betroffen sind.“ Die Wälder der Zukunft werden artenreiche Mischwälder sein, da sich Mischwälder als resilienter gegen Umwelteinflüsse erwiesen haben. „Auch auf den Flächen im Gasteiner- und Angertal müssen wir die Anpassung der Wälder an den Klimawandel vorantreiben. Bei einem durchschnittlichen Erntealter von 120 Jahren – in höheren Lagen, wo die Bäume langsamer wachsen, noch mehr – dürfen wir keine Zeit verlieren“, mahnt der Betriebsleiter. In den Wäldern im Angertal, das zum ÖBf-Revier Gastein gehört, wird die Fichte auch weiterhin die natürliche Hauptbaumart bleiben, da sie im Alpenraum ideale Wachstumsbedingungen vorfindet. Ihr Anteil soll aber zugunsten der Lärche und Tanne, aber auch anderer Laubholzarten um 20 % reduziert werden. Lärchen und Tannen kommen mit Trockenheit und geringeren Niederschlägen besser zurecht. Zudem sind sie Tiefwurzler und verfügen über ein spezielles Wurzelsystem, mit dem sie Stürmen besser standhalten können als die flachwurzelnde Fichte. Auch Laubhölzer, etwa der Bergahorn, sollen zukünftig stärker beigemischt werden. Allerdings werden insbesondere Tannen von den Wildtieren besonders gerne verbissen, da ihre Nadeln weich und nährstoffreich sind. Eine Schlüsselrolle im Wald der Zukunft kommt daher einem ausgewogenen und Lebensraum angepassten Wildstand zu, denn Wald und Wild sind beides Bestandteile des Ökosystems Wald und unmittelbar miteinander verbunden - es braucht eine gute Balance. „Unser Ziel sind intakte, dem Klimawandel angepasste Wälder mit einem lebensraumverträglichen Wildstand und gesunden Wildtieren, die in gesunden Wäldern möglichst naturnah leben können“, so Betriebsleiter Hannes Üblagger abschließend.
Hintergrund zum Gerichtsverfahren:
Gegen den ehemaligen Jagdpächter und Fütterungsbetreiber in der benachbarten Jagd wurde von der BH St. Johann schon 2016 ein Verfahren nach §16 (5) „Waldverwüstung“ lt. Forstgesetz eingeleitet und im Oktober 2017 die bescheidmäßige Reduktion des Rotwildstandes aufgetragen. Der ehemalige Jagdpächter hat dagegen Beschwerde erhoben und verlangt, den Maßnahmenbescheid ersatzlos aufzuheben und das Waldverwüstungsverfahren einzustellen. Nach umfangreichen Sachverständigengutachten wurden in der Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts vom Februar 2019 die Feststellungen der Behörde erster Instanz im Wesentlichen bestätigt: Der Tatbestand der „Waldverwüstung“ durch einen zu hohen Rotwildbestand wurde erneut bekräftigt. Aber auch diese Entscheidung wurde vom Jagdinhaber und Fütterungsbetreiber beim Höchstgericht angefochten. Der VwGH hat diese Beschwerde im August 2019 jedoch zurückgewiesen und noch einmal klargestellt, dass „das Rotwild als Hauptverursacher dieser Schäden identifiziert wurde (…) und eine Reduktion des Rotwildbestands für die Wiederbewaldung der gegenständlichen Schutzwälder erforderlich ist“. Laut VwGH wurden im Lauf des Verfahrens genügend Sachverständige beigezogen und deren Gutachten ausreichend diskutiert. Es gibt keinen Verfahrensmangel und die vom Landesverwaltungsgericht angeordneten Reduktionsmaßnahmen sind sowohl verhältnismäßig als auch umsetzbar. Sollten Wildzählungen der Universität für Bodenkultur eine Absenkung nicht bestätigen, ist die Rotwildfütterung an diesem Fütterungsstandort aufzulösen. Im April 2020 hat die Universität für Bodenkultur mehrere Fotoserien, aufgenommen am Fütterungsstandort, durch Zählungen ausgewertet und festgestellt, dass der Fütterungsstand mit mindestens 205 Stück Tieren nahezu unverändert blieb. Ein Absenken des Fütterungsstandes wurde deutlich verfehlt und die weitere Rotwildfütterung in der Rettenwandalm somit gerichtlich untersagt.
Österreichische Bundesforste in Salzburg
In Salzburg sind die Österreichischen Bundesforste (ÖBf) mit vier Forstbetrieben vertreten – Forstbetrieb Flachgau-Tennengau, Forstbetrieb Kärnten-Lungau, Forstbetrieb Pinzgau und Forstbetrieb Pongau. Die Gesamtfläche der Bundesforste in Salzburg beträgt rd. 203.000 Hektar, davon rund 124.000 Hektar Waldfläche, das entspricht etwa 33 % der Waldfläche Salzburgs. Ein Drittel der Wälder oder umgerechnet rund 35.000 Hektar sind Schutzwälder. Ein Großteil der Flächen liegt in den Tälern entlang des Alpenhauptkammes im Pinzgau, Pongau, Lungau, aber auch im Flachgau und Tennengau befinden sich ausgedehnte Wälder der Österreichischen Bundesforste.
Siehe auch Salzburger Nachrichten - Notfallplan für Bäume und Hirsche (23.10.2020) und ORF - Neuer Anlauf für Aufforstung im Angertal (22.10.2020).
Rückfragehinweis
Österreichische Bundesforste
Mag. Pia Buchner, Pressesprecherin
Tel. 02231-600-1520
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